FFL#7 Wie macht eine Plattform Spaß, aber nicht süchtig?
Ein bisschen Psychologie in Teil 3 des ÖRRNie-Spezials
Vorweg: betreffend den ZDF-Verwaltungsrat …
Hallo! Zunächst ein Nachtrag zu FFL#5, also dem ersten Teil des ÖRRNie-Spezials, in dem ich mir Gedanken über ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk mache.
Auf Spotify habe ich die offizielle Vorstellung der ZDF-Public-Value-Studie gefunden, die unter anderem DOPS vorstellt, die Idee eines Digital Open Public Space.
Ich will ein paar Worte dazu verlieren; erstens, weil DOPS mir unter den bisherigen Ansätzen für ein öffentlich-rechtliches Netzwerk als der konkreteste vorkommt, inklusive Ankündigungen schon für dieses Jahr. Dabei sehe ich in DOPS viele Ansätze, die uns, meine ich, wirklich weiterbringen können.
Und zweitens, weil ich in DOPS drei prinzipielle Probleme sehe, die zur Frage der heutigen Folge führen:
Wie macht das öffentlich-rechtliche Netzwerk ÖRRNie Spaß, führt aber nicht zu Suchtverhalten wie Instagram, Facebook und Co.?
Hier meine Kritikpunkte an DOPS:
Keine Plattform: DOPS wird als dezentrales Netzwerk gedacht, und nicht – das betont die Vorsitzende des ZDF Verwaltungsrats Malu Dreyer mehrmals – als Plattform: “Die nun veröffentlichte Expertisen zielen dabei nicht auf die Entwicklung einer eigenständigen Plattform des ZDF ab.” Soll heißen: Ich kann mich perspektivisch mit dem selben Account bei ZDF und, sagen wir, beim Spiegel einloggen und Artikel kommentieren. Ein Login für mehrere Seiten oder Portale, ähnlich wie im Fediverse. Auch wenn ich daran die Idee der offenen Protokolle mag: Ich halte es aus Sicht der Nutzenden für sinnvoll, wenn der Public Space auch einen klaren Ort hat, also eine App/eine Plattform als Sammlungspunkt.1 Paradox wird es, als Malu Dreyer in ihrem Eröffnungsvortrag dann auch sagt, “dass wenn man den Tech-Konzernen etwas gegenüberstellen möchte (…), dass wir eine gemeinsame große Plattform entwickeln müssen.“ Bei mir bleibt der Eindruck: Es wird think big behauptet, dabei erscheint der tatsächliche Vorschlag meilenweit davon entfernt die Tech-Oligarchen wirklich herauszufordern.2
Schlagseite beim Dialog: Eine konstruktive, nicht polarisierte Kommentarkultur im Sinne demokratischer Meinungsbildung scheint der Purpose des DOPS zu sein. Aber: Kommentare sind nur eine von vielen Interaktionsarten, und von allen die hochschwelligste. Ein erfolgreiches Netzwerk wird um niedrigschwellige Interaktionsangebote nicht herumkommen, erstens um wesentlich mehr Leute einzubinden und nicht zu bloßen Rezipient*innen zu machen; zweitens um nötige Daten zu sammeln, um das Netzwerk besser zu machen (bei allem nötigen Schutz der Privatshäre).
Was daran ist attraktiv? Zum Ende der Podiums-Diskussion stellt Joachim Huber vom Tagesspiegel die Frage, was DOPS nun attraktiv machen würde – weil so wirke es auf ihn nicht. Studien-Autor Frank Lobigs antwortet, dass Netzwerkeffekte Facebook und andere Netzwerke groß gemacht hätten. Auf die zählt er wohl auch beim DOPS. Was er dabei außen vor lässt: Netzwerkeffekte tragen zwar dazu bei, dass viele Menschen dabei sein wollen und sich anmelden. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie sich dort (gerne) aufhalten, aktiv sind, interagieren. Spaß haben eben.
Das ist nach der Anmeldung aber die entscheidende Frage: Wie bekommt DOPS nachhaltig Bedeutung in meinem Leben? Warum komme ich immer wieder zurück?
Für die bestehenden Plattformen ist das recht schnell zu beantworten: Es ist zu großen Teilen einstudiertes Suchtverhalten. Erst mal dazu, dann suche ich nach möglichen Alternativen.
1. Wie Plattformen süchtig machen
Wer Social Dilemma auf Netflix gesehen hat, kann diesen Teil eigentlich überspringen.
Ansonsten: So unterschiedlich die großen Plattformen sind, es gibt ein paar Sachen, die sie alle in ihrer Architektur haben. Und die designt sind, um süchtig zu machen:
endloser Feed Wir können endlos scrollen, wissen nicht, was als Nächstes kommt, ob uns das nächste Video, Sharepic oder der nächste Kurztext überrascht, schlauer macht, uns zum Lachen bringt – oder eben langweilt. Wir scrollen weiter, weil wir eben nicht genau wissen, was als Nächstes kommt. Auf der Jagd nach dem nächsten Dopamin-Kick.
Benachrichtigungen in verschiedenen Formen: ein roter Punkt mit einer Zahl drauf (siehe Facebook oder App-Symbole) oder ein Kasten auf dem Handybildschirm. Hier der Effekt wie auf einem Rubbellos: Ich muss aufmachen um zu schauen, was drin ist.
Belohnungssysteme wie Likes und Herzen, die ständig an unsere Neugier appellieren (Wer hat mich gelikt? und Wie viele haben mich gelikt? → dafür muss ich die App immer wieder neu öffnen) und uns immer neue Dopamin-Kicks bescheren. Magical maybe heißt das Phänomen, aufs Handy zu gucken nur um zu sehen, ob man eine neue Nachricht hat.
Echtzeit-Aktualisierung Das mag im Internet des Jahres 2025 eine große Selbstverständlichkeit sein, aber natürlich macht es etwas mit uns, wenn wir eine Plattform ständig aktualisieren können und dabei ständig neue Inhalte sehen (statt dass einmal am Tag Post und Zeitung kommen). Wie der endlose Feed, nur nach oben gedacht3
Der Psychologe Adam Alter zeigt in seinem Buch Irresistible die Parallele der Plattformen einer Slot Machine auf. Im Grunde sind es also Glücksspiel-Mechanismen, mit denen sie uns bei der Stange halten. Um länger zu bleiben, mehr Werbung zu sehen und möglichst zwischendurch etwas bei Werbekunden zu kaufen.
Plattformen geben uns durch kleine Belohnungen also ständig eine neue extrinsische Motivation, um aufs Handy zu schauen oder weiterzuscrollen. So bekommen wir ständig schnelle, kleine Hits an Dopamin, die aber gleich wieder abfallen - sodass wir bald in einer hedonistischen Tretmühle feststecken. Wir suchen stärkere Dopamin-Hits oder müssen länger auf der Plattform verweilen, um den gleichen Lustgewinn zu erfahren. Im Ergebnis wollen wir immer mehr, als wir kriegen können.
2. Wie Spaß ohne Sucht möglich ist
Was ja schon mal gut ist: Das Ziel einer öffentlich-rechtlichen Plattform ÖRRNie wird nicht sein, Menschen auf Biegen und Brechen möglichst lange bei sich zu halten, äußerlich aktiv und innerlich dahindarbend.
Und betonen die bestehenden Initiativen immer wieder: Ein neues Netzwerk soll nicht süchtig machen. Es wird aber auch nicht das Ziel sein, Menschen zu langweilen; eine Befürchtung, die Süddeutsche-Autor Philipp Bovermann so ausdrückt:
“Die Idee [einer öffentlich-rechtlichen Plattform] hat nie sonderlich in der Öffentlichkeit verfangen, vermutlich, weil sofort Bilder im Kopf entstehen, wie wohl so ein pädagogisch wertvolles ARD-Tiktok aussähe. Social Media ohne Empörung und Dopaminkicks? Das wäre Kuchen ohne Zucker, uncool, typisch EU. Richtig?”
Es wird auffallend weniger über Alternativen zu Sucht-Architekturen gesprochen. Wenn aber nicht süchtig machen, möglichst viel Zeit verdaddeln und Dinge verkaufen das Ziel einer Plattform ist, was dann?
Zunächst ein paar Gedanken:
Wenn bisherige Netzwerke auf extrinsische Motivation baut, wie sähe dann eines aus, das auf intrinsische baut?
Ich habe da eine Assoziation zu erfolgreichem Lernen (egal ob einer Sprache, einer Fertigkeit, im Sport), einem ständigen Fortschritt, den ich sehe, spüre und der mich freut
Mit welchem Gefühl will ich die ÖRRNie-App oder Website schließen?
Wo und wie erzähle ich anderen davon, was ich dort rausgefunden habe?
Statt Echtzeit-Aktualisierung: Lässt sich die Nutzung einer Plattform eher in Routinen denken? Zum Beispiel, dass ich einmal am Tag (oder auch zwei- oder dreimal …) zu fester Zeit erinnert werde die App zu nutzen; und zwischendurch kann ich zwar tiefer in Inhalte eintauchen, aber es werden nicht bei jedem Öffnen komplett neue Inhalte zusammengestellt? (Digest-Prinzip)
Am wichtigsten erscheint mir, dass eine neue App eine nachhaltige Bedeutung für die Nutzenden hat. Dass sie wissen: Sie bekommen von ihr immer etwas, das sie weiterbringt oder ihr Leben reicher macht. Ein ständiger Begleiter ohne Abhängigkeitsverhältnis
Den letzten Punkt habe ich besonders im Kapitel über Thriving (Blühen/Gedeihen) des Online-Kurses des Center for Humane Technology wiedergefunden. Was ich aus den gesammelten Folien dort noch mitgenommen habe, und das passt wiederum gut zu meiner “Lern”-Assoziation:
Humanistische Technologien sollten Werte, Ziele, Schaffenskraft und persönliches Wachstum der Nutzenden ins Zentrum stellen, nicht nackte Metriken ums engagement. Situativ sollte immer die Absicht bewusst gemacht werden, mit der ich eine App öffne - um so möglicherweise eine habitualisierte Gewohnheit zu durchbrechen. Dieses Bild macht klar, was gemeint ist und wie Design Nutzungsweisen verändern könnte:
Zum Weiterlesen: Die Seite Humane by Design macht weitere konkrete Designvorschläge, dieser Artikel zeigt ein paar Wege auf, um der Aufmerksamkeitsökonomie ein Schnippchen zu schlagen.
Schließlich habe ich ChatGPT gefragt, was neurobiologisch eigentlich der Unterschied ist zwischen Spaß bei der Nutzung von suchterzeugenden Plattformen und Spaß und Anregung z.B. beim Lernen oder dem Lesen eines guten Buchs.
Antwort: Beides funktioniert über Dopamin. Der Unterschied sei aber tatsächlich, dass es beim Lernen durch die eigene Motivation reguliert wird, also ich keinen externen, unvorhersehbaren Trigger brauche, um es auszuschütten. Der Mensch ist dabei aktiver als beim (im Vergleich passiven) Scroll-Konsum. Wichtig ist noch zu wissen, dass bei Spaß und Freude in Wirklichkeit ein komplexer neurobiologischer Cocktail am Werk ist, der wissenschatlich nicht entschlüsselt ist. Dopamin ist also keine Einbahnstraße.4
3. Was ich also für ÖRRNie mitnehme
… das Spaß macht, aber nicht süchtig:
an persönliche, situative, intrinsische Absichten anknüpfen und sie als Entscheidungen bewusst machen: Wollen Nutzende ein Thema durchdringen, mitreden können, etwas Neues kochen, einen inspirierenden Gedanken hören? (da sind wir wieder nah an den Bedürfnissen aus letzter Folge)
Die Inhalte zu den Absichten können jedoch algorithmisch kuratiert sein, Dazu braucht es einen sehr gute, auf vielen Daten basierender Algorithmus, der Inhalte personalisiert so ausspielt, dass idealerweise ein Flow-Zustand entsteht
Fokus auf persönliches und kollektives Wachstum. Fortschritte sicht- und besser erlebbar machen (Selbstwirksamkeit) …
… und aktives Konsumieren nudgen (z.B. Notiz-Funktion)
Routinen schaffen (ich muss dabei an Duolingo denken …)
Ending feed statt infinite scroll
externe Belohnungssysteme (Likes etc.) standardmäßig auf unsichtbar schalten
In der nächsten Folge werde ich mir andere Apps und Plattformen anschauen, von denen sich für ÖRRNie was lernen lässt.
Auf dieser kleinen kreativen Forschungsreise interessieren mich auch eure Ideen, also schreibt mir!
Das schließt sich mit Offenheit und (teilweiser) Dezentralität nicht aus. Ein modularer Ansatz kann auch bedeuten, dass dieselbe Diskussion sowohl auf einer Plattform als auch auf zdf.de erscheinen würde.
Das ist nach der Podiumsdiskussion stark mein Eindruck: Die angebliche Größe ihres Vorschlags untermauert das Team damit, dass der über den ZDF Staatsvertrag weit hinausgehe – also erst die rechtlichen Gegebenheiten geklärt werden müssten. Dabei reden wir aber konkret von innovativen Möglichkeiten des Dialogs, entstanden aus idealistischen Motiven; nicht von einem Space, der durch bestimmte (auch psychologische) Mechaniken Menschen begeistert. Das muss aber die Messlatte sein, dass es dann auch angenommen wird.
Der Design Guide des Center for Humane Tech zeigt einige weitere kleine Mechanismen auf, die Suchtverhalten begünstigen
Ein besonders wünschenswerter Effekt könnte ein Flow-Zustand sein, in dem Motivation, Fähigkeiten und Aufgabe genau zusammenpassen und Nutzende einen steten Fortschritt eine größtmögliche Selbstwirksamkeit erfahren.